Interview Musik Express 11/99
Mit freundlicher Genehmigung des Redakteurs Ernst Hofacker
Die Everly Sisters
ME/S: "Western Wall" hast Du zusammen mit Linda Ronstadt gemacht, die auch Teil des Trios ist, daß du mit Dolly Parton bildest. Warum war Dolly diesmal bei den Aufnahmen nicht dabei?
Emmylou: Das Ganze war tatsächlich als Duett-Album geplant. Linda und ich hatten schon sehr lange darüber nachgedacht. Und ein Teil des Konzeptes bestand darin, auch Gastsänger hinzuzuziehen, etwa Kate und Anna McGarrigle und Neil Young. Hätten wir traditionelleres Songmaterial genommen, dann hätten wir sicherlich auch Dolly hinzugezogen. Aber der spezielle Sound, den wir als Trio haben, paßt eben nicht zu jedem Song. Nimm etwa das eher dramatische "Loving The Highwayman". Im Refrain singt der Chor "damned, damned, damned" mit dem Trio-Sound hätte das viel zu lieblich geklungen. Im Kern ist "Western Wall" aber ein Duett-Album von Linda und mir. Wir haben versucht, die Chance zu nutzen, uns intensiv mit diesen sehr fremdartigen, manchmal seltsamen Songs zu beschäftigen. Das hätte im Trio nicht funktioniert.
Me/S.Wer trug was zu "Western Wall" bei was war dein Part, was brachte Linda ein, und was Produzent Glyn Johns?
Emmylou:Kompliziert, das alles auseinander zu dividieren. Für die Songauswahl war in erster Linie ich verantwortlich. Ich bin ganz gut im Songaussuchen, ich bin eine echte Sammlerin, und ich liebe das. Einige von den Songs, die ich vorschlug, kannte Linda schon. An dieser Stelle muß ich noch einmal auf "Loving The Highwayman" zurückkommen: Wir hatten schon bei den Sessions zu "Trio II" diesen Song aufgenommen, aber wir haben ihn irgendwie nicht zum Schimmern gekriegt. Aber wir lieben beide "Highwayman", und deshalb haben wir es zusammen noch einmal versucht. Und diesmal ist es uns, glaube ich, ganz gut gelungen. Glyn ist natürlich ein sehr erfahrener Produzent und Toningenieur. Er brachte die Band zusammen, zu der auch sein Sohn Ethan gehört ein wunderbarer Musiker, der mehrere Instrumente beherrscht und auch ein exzellenter Drummer ist. Linda hatte vor allem Einfluß bei der Arbeit im Studio. Sie hat ein sehr gutes Gefühl dafür, welche Songs zu uns passen, und sie hat tolle Ideen für die einzelnen Arrangements und Gesangssätze eingebracht. Zusammen haben wir, glaube ich, ein prima Team abgegeben.
Me/S:Wie findest Du all diese Songs, nehmen wir zum Beispiel "Valerie" von Patti Scialfa, das ja nicht sonderlich bekannt ist?
Emmylou:Interessant, daß Du gerade nach "Valerie" fragst, denn dieser Song und "Loving The Highwayman", über das wir eben sprachen, habe ich durch Richard Bennett kennengelernt, einen sehr guten Freund, der ebenfalls Musiker und Produzent ist. Das war zu der Zeit, als ich an "Wrecking Ball" arbeitete, aber irgendwie kam der Song damals letzten Endes doch nicht auf das Album. Für mich und Linda ist "Valerie" ein wunderbares Vehikel für unsere Stimmen, es klingt sozusagen wie die Everly Sisters.
Me/S:Das "Western Wall"-Cover zeigt dich und Linda in diesen schönen weißen Engelskleidern, ähnlich schön ist auch das Sounddesign des Albums manchen Kritikern scheint das nicht recht zu gefallen. Sie monieren, daß alles viel zu schön ist, alles zu sehr Wohlklang. Was antwortest du denen?
Emmylou:Zu schön? Wie kann denn etwas zu schön sein? Was soll man dazu sagen?
Me/S:Vielleicht sollten die sich besser ein Mötley Crüe-Album kaufen.
Emmylou:Nun, Linda und ich, wir sind eben keine Rock'n'Roller. Wir haben uns bei diesem Album nicht die Bohne darum gekümmert, ob noch ein Uptempo-Song dazu sollte oder hier noch ein Hit fehlte oder dort noch dies oder jenes. Alles, worum es uns geht, sind die Songs. Wir glauben an die Poesie der Texte, an die Songwriter und ihre Lieder, das ist es, was für uns zählt. Und wer genau hinhört, wird auch ein paar rauhere Kanten entdecken. Glyn Johns ist nicht der Typ, der den Sound zu sehr poliert. Auf dem Album hört man die Musiker live spielen, und der Gesang ist ebenfalls live. Es ist eben keine Musik für jedermann es ist so, wie es ist.
Me/S:In den Credits zu "Western Wall" taucht deine Tochter Meghann Ahern (der Vater ist Emmylous langjähriger Ehemann und Produzent Brian Ahern) als verantwortlich für die Produktions-Assistenz auf. Zudem macht sie auch als Sängerin von sich reden. Tritt sie in deine Fußstapfen?
Emmylou:Sie macht eine ganze Menge verschiedene Dinge, unter anderem ist sie eine exzellente Songwriterin. Beinahe hätten wir einen ihrer Songs aufgenommen, weil es so eine wunderbare Nummer ist. Aber leider paßte es nicht in den Kontext des Albums.
Me/S:Klingt wie eine sehr stolze Mutter
Emmylou:Natürlich. Ich bin sicher, daß sie sich durchsetzen wird. Meghann hat zudem einige Erfahrung als Toningenieurin gesammelt und weiß mittlerweile eine ganze Menge über das Geschäft.
Me/S;Emmylou, du bist in den letzten Monaten verdammt fleißig gewesen erst das "Spyboy"-Album, dann "Trio II", dann das Gram Parsons-Tribute-Album und nun "Western Wall" das ist mehr als in den letzten fünf Jahren von dir veröffentlicht wurde. Wie kommt's?
Emmylou:Ganz einfach, ich habe ein Jahr Urlaub gemacht (lacht schallend).
Me/S:Wann, bitte, das?
Emmylou:Natürlich mach' ich Witze. Ich habe damals gesagt, daß ich erstmal ein Jahr lang Pause mache und zwei Jahre später hatte ich auf einmal fünf Alben draußen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie das geschehen konnte. Es ist halt passiert.
Me/S:Und eine Menge Leute freuen sich darüber.
Emmylou:Danke.
Me/S: Laß uns über "The Return Of The Grievous Angel", das Gram Parsons Tribute-Album, sprechen. Du bist als Co-Produzentin für die Platte mitverantwortlich. Ich glaube, Gram wäre auf diese Platte sehr stolz gewesen. Glaubst Du das auch, oder hast du da deine Zweifel?
Emmylou: Ich liebe diese Platte. Aber ich hatte meine Zweifel, als wir daran arbeiteten. Es ging alles sehr langsam voran, und ich wusste nicht, was daraus werden würde. Jeder Track für sich genommen war sehr gut, aber man weiß ja, daß Tribute-Alben eine sehr seltsame Angelegenheit sind. Ich war mir nicht sicher, ob das alles funktionieren würde. Als wir es dann zum ersten Mal in seiner Gesamtheit anhörten, war ich so erleichtert und dankbar, weil jeder, der dabei mitgemacht hat, soviel Herz investiert hat. Außerdem hätte ich mir eigentlich gar nicht Sorgen machen müssen, denn die Songs sind einfach so gut. Am Ende der Arbeit merkte ich, daß jeder beteiligte Künstler den jeweiligen Song zu seinem eigenen gemacht hatte und das genau war es, was ich wollte.
Me/S: War es schwierig, für die jeweiligen Künstler den richtigen Song zu finden und umgekehrt?
Emmylou: Nein, eigentlich nicht. In den meisten Fällen wußten die Künstler sehr genau, was sie aufnehmen wollten. Es gab nur zwei Fälle, wo ich den Künstlern einen Song vorschlug.. So fragte ich Gillian Welch, ob sie "Hickory Wind" singen wollte, und ich bat die Mavericks, "Hot Burrito" aufzunehmen. Mit Sheryl Crow wollte ich ein Duett machen, für das ich dann "Juanita" vorschlug. Und es ist wunderbar geworden. Auch das Duett mit Beck hat funktioniert. Und dann war da noch "She" mit Chrissie Hynde. Überhaupt Chrissie sie ist fantastisch, eine unglaubliche Person. Und Sheryl natürlich auch.
Me/S: Gibt es für Dich einen persönlichen Favoriten auf dem Album?
Emmylou: Nicht wirklich. Aber es gibt einen Track, der mich im positiven Sinne verblüfft und überrascht hat, das ist "Ooh Las Vegas" in der Version der Cowboy Junkies. Ich hätte im Leben nicht mit dem gerechnet, was sie aus diesem Song gemacht haben. Und als ich es dann hörte, war ich sprachlos vor lauter Freude. Es ist wundervoll.
Me/S: Warst Du nicht versucht, zumindest den jüngeren Künstlern hier und da einen Tip zu geben, ihnen zu sagen: Hey, Gram würde das so und so gemacht haben?
Emmylou: Oh nein, absolut nicht. In diese Versuchung bin ich nicht einen Moment geraten. Ich habe meinen Job bei diesem Projekt in erster Linie darin gesehen, Leute einzuladen, Ideen zu liefern und zu helfen, daß alles zusammenkommt.
Me/S:Vor einigen Jahren hast du mal gesagt, daß wir "in der Musik das Wohnzimmer aus den Augen verloren haben", eine Umschreibung, mit der du du eine gewisse Natürlichkeit und Verwurzelung der Musik im Leben der Menschen meintest. Heute nimmt Steve Earle ein reines Bluegrass-Alben auf, und jemand wie Lucinda Williams hat endlich den großen Erfolg, den sie nach meiner Meinung schon so lange verdient...
Emmylou: Ich bin die erste, die das unterschreibt.
Me/S:...haben wir das Wohnzimmer wiedergefunden?
Emmylou: Ich glaube schon, daß eine gewisse Natürlichkeit zurückkehrt. Die Menschen haben entdeckt, daß die Technik obwohl sie etwas sehr gutes ist und durchaus dein Freund sein kann genauso auch dein Feind sein kann. Zumal wenn man sich zu ihrem Sklaven machen läßt. Ich bin davon überzeugt, daß die Leute gemerkt haben, daß eine Live Performance und echter Gesang wesentlich wichtiger sind, als perfekter Wohlklang. Nun ja, bei "Western Wall" haben wir halt alles naturbelassen, auch wenn es 'zu schön' klingt (lacht). Vielleicht sollte ich mich entschuldigen, daß alles 'zu schön' geworden ist!?
Me/S: Oh, absolut kein Grund mir gefällt's.
Emmylou: Ich weiß (lacht), selbstverständlich werde ich nicht den Übermittler der schlechten Nachricht umbringen (prustet laut los).
Me/S: Thanks, Ma'am. Was für ein Gefühl war es für dich zu sehen, daß junge Bands wie Wilco oder Whiskeytown stark von Gram Parsons beeinflußt sind und dessen musikalische Ideen übernommen haben?
Emmylou: Das war ein sehr befriedigendes Gefühl. Weißt Du, damals als Gram starb, hatte ich herausgefunden, wie phantastisch er war, was für ein großer Musiker er war und worauf er mit seiner Arbeit hinauswollte. Das hatte mein ganzes Leben verändert. Und ich dachte, jeder müßte genauso denken wie ich. Ich bin dann rausgegangen und habe meine eigene Karriere begonnen. Und dabei habe ich dann schnell gemerkt, daß ich mit meiner Meinung über Gram ziemlich alleine dastand. Also blieb mir nichts weiter übrig als sein Werk weiterzuführen, so gut ich konnte. Ich habe einfach weitergemacht. Grams Musik ist immer ein Teil meines Lebens gewesen. Und jetzt sehe ich, dass eine neue Generation von Musikern deutlich von Gram beeinflusst ist. Das ist sehr interessant. Auch der Umstand, dass seine Ideen an Nashville und dem, was aus der Countrymusik geworden ist, total vorbeigegangen sind. Ich vermute, es sollte einfach so kommen. Alles kommt sowieso, wie es kommen soll. Man muss eben lernen, es zu akzeptieren.
Me/S: Emmylou, für das breite Publikum gehörst du in die Schublade "Countrysängerin", dabei hast du schon seit 1993, als "At The Ryman" erschien, keine reine Countryplatte mehr veröffentlicht, eher Rockalben. Magst Du keine Country-Songs mehr singen?
Emmylou: Ich habe mich eigentlich seit den Anfängen meiner Karriere nicht groß verändert. Schon damals habe ich Rockelemente in meiner Musik gehabt. Und eigentlich habe ich im Verlauf meiner Karriere nur drei echte Countryalben gemacht, "Roses In The Snow", "Blue Kentucky Girl" und "Angel Band", also drei von etwa 25 Alben. Ich war immer schon eine Eklektikerin. Fraglos hat mich meine Arbeit mit Gram in die Countrymusic eingeführt. Aber Gram wollte mit seiner Musik versuchen, Country in einem anderen Licht zu zeigen. Und ich meine, dass ihm das gelungen ist. Ich habe Countrymusic immer geliebt und mich gerne damit beschäftigt, aber ich bin nie in meiner Karriere eine traditionelle Countrysängerin gewesen. Ich habe keine Ahnung, woher diese Einschätzung kommt, absolut keine Ahnung. Deshalb denke ich auch, dass "Wrecking Ball" die Leute nicht hätte so sehr schockieren müssen, wie es offenbar der Fall war. Ich gebe zu, dass mich diese Platte damals selbst überrascht hat. Aber ich bin ja deshalb nicht diese andere Person oder Künstlerin geworden, als die viele mich dann auf einmal sahen. Manchmal erreicht man mit seiner Arbeit eben eine neue Stufe.
Me/S: Das eigentlich Überraschende an "Wrecking Ball" war ja nicht so sehr die Songsauswahl, es war der Sound des Albums.
Emmylou: Ganz genau. Es waren dieser speziellen Arrangements und diese Power und Schönheit, die Daniel (Lanois, der Produzent) da hineingebracht hat. Das Ergebnis hat mich überwältigt und sehr inspiriert. Natürlich habe ich seinerzeit, vor bald 30 Jahren, mit Countrymusic angefangen, und diese Wurzeln trage ich immer in mir. Die Leute denken, sie müssten alles, was ich mache, in dieses Country-Geflecht einordnen können. In meiner Karriere habe ich nie etwas verworfen, am allerwenigsten Countrymusic. Ich versuche nur, meiner natürlichen Entwicklung, dem was mich inspiriert, zu folgen. Alles muss sich natürlich und organisch entwickeln. Vielleicht wäre ich etwas populärer heute, wenn ich einiges anders gemacht hätte. Aber das funktioniert eben nicht. Man darf nicht stehenbleiben, man muß immer weiter vorwärtsgehen. Und das muß auf natürliche Weise geschehen. So ist "Wrecking Ball" entstanden.
Me/S: Wo wir von Vorwärtsgehen sprechen: Was hast Du als nächstes vor?
Emmylou: Linda und ich beginnen dieses Wochenende (4. September) mit einer ausgedehnten US-Tournee, die bis Mitte Oktober dauern wird.
Me/S: Werdet ihr mit der Spyboy-Band spielen?
Emmylou: Nein, es werden Leute sein, die auch bei "Western Wall" mitgespielt haben. Mit Ausnahme von Andy Fairweather-Low, seinen Platz wird Buddy Miller, der schon bei Spyboy dabei war, einnehmen. Übrigens ist er selbst ein phantastischer Gitarrist und wunderbarer Songschreiber. Genauso wie seine Frau Julie. Dazu haben wir Bernie Leadon an der Gitarre (ex-Eagles), Greg Leisz am Baß, Ethan Johns am Schlagzeug und Paul Wilkins, der normalerweise bei Paul McCartneys Band spielt, an den Keyboards. Eine kleine Band...
Me/S:...und große Stimmen.
Emmylou: Danke. Tut mir leid, aber das nächste Interview wartet, wir müssen jetzt zum Ende kommen. Hast Du alles, was Du brauchst?
Me/S :Ja, danke, nur eine Frage noch: Einige deiner Alben wie zum Beispiel "Evangeline", "13" oder "Cimarron" gibt es bis heute nicht auf CD. Wann wird sich das endlich ändern?
Emmylou: Tut mir leid, aber da bin ich die Falsche, die du fragst. Ich habe keine Ahnung, warum diese Platten nicht als CD erhältlich sind. Und ich weiß leider auch nicht, ob Warner sie jemals wieder herausbringen wird oder nicht. Es ist nett, dass du danach fragst, aber ich kann dir da leider nicht weiterhelfen.
Me/S: Emmylou, danke für das Gespräch. Pass auf Dich auf und viel Erfolg bei der anstehenden Tournee!